Für die einen ist es eine Frechheit, für die anderen ein Qualitätskriterium: DIE LINKE mit ihren zahlreichen Strömungen und Untergruppen wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Das ist allgemein bekannt. Nicht neu ist auch, dass die Geheimdienste besonders von den Konservativen und Liberalen politisch instrumentalisiert werden. Allzu oft wird das Totschlagargument vorgebracht, DIE LINKE sein „linksextremistisch“ – und daher weder wählbar noch fähig, Verantwortung zu übernehmen. Doch was heißt „linksextremistisch“? Und ist eine Beobachtung der LINKEN, der Linksjugend [’solid] und von DIE LINKE.SDS gerechtfertigt? Schließlich tauchen sie alle im aktuellen Verfassungsschutzbericht auf.
Die inflationäre Verwendung des Extremismusvorwurfs führt dazu, dass kaum jemand hinterfragt, was bestimmte Begriffe eigentlich bedeuten. Umso interessanter ist eine kleine Zusammenstellung oft gestellter Fragen auf der Webseite der Verfassunghüter. Hier kann man erstaunliche Erkenntnisse gewinnen.
„Was sind extremistische Bestrebungen?“ wird dort zum Beispiel gefragt. Solche, die sich gegen die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ richten, antwortet der Staatsschutz. Schon wieder ein Wortungetüm. Doch auch hier bekommt man Hilfe: die FDGO beinhalte unter anderem die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, Volkssouveränität, Gewaltenteilung und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Wo hat jemals ein Repräsentant der Partei DIE LINKE oder ihres Jugend- und Studierendenverbands gegen diese elementaren Voraussetzungen einer Demokratie agitiert? Was wir fordern, ist eine andere Wirtschaftsordnung. Das ist radikal – und berechtigt. Doch was ist der Unterschied zwischen „radikal“ und „extremistisch“? Auch darüber hat man sich beim Verfassungsschutz den Kopf zerbrochen und ist zu einer – auch aus linker Sicht – akzeptablen Auffassung gelangt. „Über den Begriff des Extremismus besteht oft Unklarheit. Zu Unrecht wird er häufig mit Radikalismus gleichgesetzt. So sind z.B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten.“
Sieh an, wer hätte das gedacht! Und es geht noch weiter: „Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird; jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt.“ Einen Beweis, dass die LINKE diese Bedingung nicht erfüllt, erbringt der aktuelle Verfassungsschutzbericht nicht.
Er belegt lediglich, dass die LINKE den Kapitalismus überwinden und ein sozialistisches Wirtschaftssystem errichten möchte – was legitim ist, betrachtet man sich das obige Zitat. Ein Interview mit Sarah Wagenknecht, dass im Bericht als „Nachweis“ für den Extremismus der Kommunistischen Plattform auftaucht, ändert daran nichts. Sie fordert darin die Einteignung von BMW (was nicht gegen das Grundgesetz verstieße, siehe Artikel 14 Abs. 3) und die „Zurückdrängung des Privateigentums an Produktionsmitteln“ (was auch grundgesetzgemäß wäre, siehe Artikel 15). Wenn der Verfassungsschutz nach seinen eigenen Definitionen handelte, dürfte er weder DIE LINKE, noch die Linksjugend [’solid] oder DIE LINKE.SDS beobachten. Stattdessen dient der Verfassungsschutz den mit der LINKEN konkurrienden Parteien und Gruppen als williges Instrument der Diffamierung, Verleumdung und Hetze. Die Politik der LINKEN wird als legitim bezeichnet und gleichzeitig ihres „Extremismus“ wegen beobachtet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Freilich, die Zurückdrängung des Kapitalismus erfordert auch Veränderungen am politischen System. Gegenwärtig dient es im marxschen Sinne als „Überbau“ der Produktionsverhältnisse mit dem Ziel, diese aufrecht zu erhalten. Sichtbar wird das vor allem beim Demokratieabbau – warum entscheidet der Bundestag (mit Ausnahme der LINKEN) so oft gegen die Mehrheit der Bevölkerung und ihre Interessen? Warum sind Abgeordnete im Lobbyismus gefangen? Warum gibt es keine direkte Demokratie auf Bundesebene? Warum konnte die politische Klasse über Nacht hunderte Milliarden Euro für die Kapitalisten bereitstellen, wohl wissend, dass sie damit die Verluste der Zocker dem Souverän – der Bevölkerung – aufbürdet?
Den Kapitalismus zurückdrängen bedeutet, diese und viele andere Mißstände zu beseitigen – die unvollkommene Demokratie zu demokratisieren. Das sind die Veränderungen am politischen System, die wir fordern – ganz im Sinne des Grundgesetzes. Sozialismus und Demokratie bedingen einander – eine wichtige Lehre aus der Geschichte der DDR.
Wir können davon ausgehen, dass dieser Text früher oder später den Weg in die Datenbanken des Staatsschutzes finden wird. Vielleicht öffnet er den Behörden die Augen für ein wenig Selbstkritik. Das wäre zumindest ein Schritt weg von ihrer Instrumentalisierung hin zur politischen Neutralität. Wünschenswert wäre es jedenfalls, wenn sich der Staatsschutz intensiver mit den wirklichen Feinden der Demokratie beschäftigte – und diese tummeln sich am rechten, nicht am linken Rand des politischen Spektrums.
„Ist die Konstruktion der Zukunft und das Fertigwerden für alle Zeiten nicht unsere Sache, so ist desto gewisser, was wir gegenwärtig zu vollbringen haben, ich meine die rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos sowohl in dem Sinne, daß die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten fürchtet und ebensowenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten.“ (Karl Marx: Briefe aus den Deutsch-Französischen Jahrbüchern, 1844). Das versuchen wir zu bewältigen. Kein Grund, uns als Feinde der Demokratie zu betrachten. Feinde der kapitalistischen wirtschaftlichen (Un-)Ordnung sind wir durchaus – weil sie der Feind des Menschen ist.
Daher fordern wir mit sofortiger Wirkung eine Ende der Überwachung der mind. 27 Bundestagsabgeordneten der LINKEN!!!