Zurzeit erfreuen sich Verschwörungstheorien bundesweit vermehrt der Beliebtheit. So kursieren im Internet Videos von bekannten Verschwörungstheoretikern wie Ken Jebsen oder Attila Hildmann, die Millionen an Aufrufen generieren konnten. In Berlin, Stuttgart und München fanden Kundgebungen mit teilweise tausenden Teilnehmenden, darunter Neonazis, AfDlerinnen und verwirrten Bürgerinnen, gegen die Schutzmaßnahmen statt.
Der FDP-Politiker Kemmerich, der durch seine Wahl zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD bundesweite Aufmerksamkeit erlangte, nahm an einer Demonstration, die von Verschwörungstheoretikern und Faschisten organisiert wurde, teil. Dabei verzichtete er zeitweise auf Abstand und Mundschutz.
Selbst eine Reihe katholischer Kardinäle unterstützte einen Aufruf, in dem unter anderem von einer Weltverschwörung mit dem Ziel persönliche Freiheiten dauerhaft einzuschränken gesprochen wird. Die Ansteckungsgefahr wurde auch hier angezweifelt.
Neben der gesundheitlichen Gefahr, die mit der Leugnung des Corona-Virus einher geht, birgt der Aufstieg von Verschwörungstheorien weitere Gefahren für die Breite der Bevölkerung aber auch Lehren für die deutsche Linke.
Die Corona-Pandemie verändert das Bewusstsein von vielen
Mit der Pandemie und der globalen Weltwirtschaftskrise, die durch den Ausbruch des Virus verstärkt wurde, ist der globale Kapitalismus in eine der wohl tiefsten Krisen seiner Geschichte gefallen. Neben den verstörenden Bildern der Toten häuften sich in den Nachrichten auch die Zahlen der Arbeitslosen und Menschen in Kurzzeitarbeit, die statistisch immer weiter nach oben korrigiert wurden. Erst vor wenigen Tagen wurde in der USA bekannt, dass die Arbeitslosigkeit von 4,4% im März auf 14,7% im April anstieg. In Deutschland kamen im April 308.000 Neu-Arbeitslose hinzu und für 10,1 Millionen Beschäftigte wurde Kurzarbeit angemeldet. Die Krise hat vielen Menschen den Boden unter den Füßen weggezogen. Hinzu kam, dass die Regierungen den Ernst der Lage zu lange ignorierten und viel zu spät passende Maßnahmen trafen. So gerieten viele in Panik und begannen mit Hamsterkäufen; Eine zwar falsche, aber stellenweise nachvollziehbare Reaktion auf die Untätigkeit der Regierung. Diese Hamsterkäufe verdeutlichen die neoliberalen Dogmen, die uns über Jahre eingetrichtert wurden, dass sich jede*r um sich allein kümmern muss und die Regierung im Notfall keine Unterstützung für die einfache Bevölkerung liefert.
Die hereinbrechende Krise veranlasste viele Menschen dazu nach einer Erklärung zu suchen. Wie kann es sein, dass ein scheinbar reiches Land wie Deutschland kaum auf eine Pandemie vorbereitet ist? Wie kann es sein, dass unser Gesundheitssystem so überlastet ist? Wie kann es sein, dass Andere bei all dem Leid finanziell an der Krise profitieren? Der Preis für Schutzmasken stieg beispielsweise um 3000%, zahlreiche Supermärkte erhöhten ihre Preise für essenzielle Güter…
Hinzu kommt, dass die Schutzmaßnahmen auf viele Menschen unglaubwürdig wirkten – Während Betriebe weiterhin offen blieben und die Menschen morgens dicht gedrängt zur Arbeit fuhren, gab es Strafen für diejenigen, die sich mit Freund*innen im Park trafen.
Viele Menschen nehmen wahr, dass die Maßnahmen nicht immer dem Schutz der Bevölkerung dienen, sondern viel mehr der Wirtschaft. Es besteht zu Recht wenig vertrauen in die herrschende Politik, was auch jetzt zu einer Ablehnung jeglicher Maßnahmen der Regierungen während der Corona-Krise führte. Die Aufgabe von linken und sozialistischen Kräften ist es, jetzt umso mehr zu erklären, dass all die bestehenden Probleme ihren Ursprung im Kapitalismus haben und nicht durch eine verdeckte Schattenregierung oder ähnliches hervorgebracht werden.
Die Krise ist eine kapitalistische Krise
Was wir momentan weltweit erleben ist eine klassische kapitalistische Krise der Überproduktion, die durch die Corona-Pandemie verstärkt wurde. Solche Krisen treten im Kapitalismus im Schnitt alle 12 Jahre auf und ziehen immer Entlassungen, Kurzarbeit und Betriebsschließungen mit sich. Grund dafür ist, dass Konzerne ihre überproduzierten Waren nicht mehr ausreichend verkaufen können, was einen Ausfall der Profitmaximierung mit sich bringt, welcher in diesem Produktionssystem kompensiert und minimiert werden muss. Da die Kapitalistinnen nicht selbst für ihre Krise zahlen wollen, wälzen sie die Kosten auf dem Rücken der Arbeiterinnen ab. Durch Kurzarbeit, Lohnsenkungen und Teilverstaatlichungen sollen Verluste, die die Konzerne machen durch den Staat mit Steuermitteln aufgefangen werden. Kurz gesagt: Der Kapitalismus zeichnet sich durch seine Krisenhaftigkeit aus, da sein Ziel nicht die Gebrauchswertproduktion, sondern das Erzielen von Gewinnen ist.
Diesmal ist davon auszugehen, dass die Wirtschaftskrise jedoch deutlich tiefer einschneiden wird, als die vorangegangenen. Der globale Kapitalismus befindet sich seit 2008/2009 in einer Dauerkrise von der er sich nie erholen konnte und dazu kommen weltweite „Lockdown“-Maßnahmen, die massive Auswirkungen auf die Wirtschaft haben.
Die bürgerlichen Regierungen versuchen deshalb ihr nationales Kapital vermehrt zu schützen, was sich an einer schlagartigen Abnahme der Wichtigkeit transnationaler Institutionen wie der EU beobachten lässt. Hinter diesen Maßnahmen der Regierungen steht jedoch nicht irgendeine Weltordnung, sondern allein das Interesse die nationale Wirtschaft und das kapitalistische System zu schützen. Dies geschieht nicht in gezielter internationaler Kooperation, wie die zahlreichen Verschwörungstheoretiker behaupten. Ganz im Gegenteil – Die jeweiligen nationalen Regierungen stehen in harter Konkurrenz zueinander. Das zeigte sich zuletzt z.B. als Hilfslieferungen, Masken und Schutzausrüstungen für besonders hart betroffene Länder abgefangen wurden oder als kein einziges EU Land dem Aufruf Italiens folgte ihnen zu helfen, als die Pandemie am schwersten war.
Eine sozialistische Alternative aufzeigen!
Wir müssen jetzt für Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie kämpfen, welche den Schutz der Menschen und nicht den der Profite großer Konzerne sichert.
Die Wirtschaftskrise darf nicht auf die arbeitende Bevölkerung abgewälzt werden, sondern muss von den Reichen bezahlt werden. Diese Krise macht keinen Unterschied zwischen Religion, Hautfarbe oder sexueller Orientierung, sondern nur zwischen Arm und Reich. Doch diese Trennlinie wird durch Verschwörungstheorien vertuscht und all zu oft werden neue aufgezogen. Plötzlich sind alle Geflüchteten oder gar jüdische Mitbürger*innen an der Krise schuld, das kapitalistische System wird nicht hinterfragt.
Diese Entwicklung ist gefährlich, denn die Krise überwinden, können wir nur als geeinte Arbeiter*innenklasse. Nur durch den gemeinsamen Kampf für eine sozialistische Alternative können wir uns aus dieser Krise retten. Verschwörungstheorien hingegen gefährden nicht das herrschende System, sondern verlängern sein Überleben. Darum ist es dringend notwendig und auch richtig gegen das Erstarken von Verschwörungstheorien und rechten Tendenzen vorzugehen.
Dabei ist es dennoch wichtig, dass wir nicht pauschal alle Menschen, die sich aktuell von solchen Verschwörungstheorien und den entsprechenden Demos angezogen fühlen als Faschisten betiteln oder für dumm halten. Viele unter ihnen merken, dass das bestehende System ungerecht ist, Konzerne über unser Leben bestimmen und die Regierungen nicht im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung handeln. Dass durch diese Stimmung jetzt rechte Kräfte und wirre Theorien profitieren, ist kein Beweis für das Erstarken der Rechten insgesamt, sondern vor allem für die Schwäche der deutschen Linken und der Arbeiter*innenbewegung.
Schon vor mehr als 100 Jahren begründeten Karl Max und Friedrich Engels die Grundlage für den wissenschaftlichen Sozialismus, der es möglich macht, die inneren Zusammenhänge des Kapitalismus zu analysieren und zu verstehen. Die deutsche Linke muss versuchen, die Lehren, die damals begründet wurden zu verbreiten und die wirklichen Gründe der Krise und einen Ausweg aus der Krise aufzuzeigen, statt den Schulterschluss mit bürgerlichen Kräften zu suchen. Gleichzeitig muss erklärt werden, dass rassistische und nationalistische Verschwörungstheorien viel größere Gefahren für die Arbeiter*innen bergen, als sie Lösungen bieten. Denn um es mit den Worten von Brecht zu sagen:
„Nichts habe ich jemals gemeinsam
der Sache des Klassenfeinds.
Das Wort wird nicht gefunden,
das uns beide jemals vereint!
Der Regen fließt von oben nach unten“