Vortrag und Buchvorstellung mit Wolfram Klein vom 26. April 2021. Sein Buch erschien dieses Jahr im Manifest Verlag.

Auf unsserem YouTube Kanal findet ihr ihr eine Aufzeichnung der Veranstaltung.

Einleitung

Wir feiern dieses Jahr den 150. Geburtstag von Rosa Luxemburg. Aber ich finde, dass sie nicht nur als historische Gestalt unser Interesse verdient, sondern dass ihre Ideen noch hochaktuell sind und dass wir heute noch sehr viel von ihr lernen können für den praktischen Kampf dafür, den Kapitalismus auf den Müllhaufen der Geschichte zu beförderRosa Luxemburg ist nicht nur aktuell,  weil wir immer noch im Kapitalismus leben. Sie ist auch aktuell, weil der Kapitalismus zu ihren Lebzeiten in sein imperialistisches Stadium eingetreten ist und sie einen wichtigen Beitrag dazu geleistet hat, die marxistische Analyse, Strategie und Taktik für dieses imperialistische Stadium des Kapitalismus fit zu machenDeshalb sollen ihre politischen Ideen in meiner Einleitung im Mittelpunkt stehen. Ich werde aber nicht versuchen, alle Aspekte ihrer politischen Ideen zu behandeln, sondern werde mich auf ihrem Beitrag zu den Auseinandersetzungen in der deutschen Arbeiter*innenbewegung konzentrieren. Mit ein paar Sätzen zu ihrem Leben, bevor sie nach Deutschland kam, werde ich aber anfangen.

Politischer Beginn

Sie wurde am 5. März 1871 in dem Teil Polens geboren, der seit 1815 (wieder) zum russischen Zarenreich gehörte. Polen war zugleich der wirtschaftlich entwickeltste Teil des Landes und national unterdrückt. Rosa Luxemburg wurde schon als Schülerin politisch aktiv und musste kurz nach der Schule das Land verlassen, um nicht verhaftet zu werden. Sie emigrierte nach Zürich, wo damals Frauen schon studieren durften. Dort war sie neben ihrem Studium vor allem der Volkswirtschaftslehre am Aufbau der polnischen Sozialdemokratie beteiligt und gab über mehrere Jahre deren Parteizeitung heraus. Nach dem Abschluss ihres Studiums ging sie 1898 nach Deutschland, in dem es damals die stärkste Sozialdemokratie gab. Diese hatte sehr wenig Ähnlichkeit mit der SPD von heute. Sie bekannte sich zum Marxismus und sprach von Revolution.

Revisionismus

Aber gerade zu der Zeit, als Rosa Luxemburg in Deutschland ankam, war das Bekenntnis der Partei zur Revolution durch die Parteirechte unter Beschuss. Rosa Luxemburg stürzte sich in die Auseinandersetzung. Der Angriff der Parteirechten erfolgte sowohl auf die marxistische Theorie als auch auf die politische Praxis der Sozialdemokratie. Der Hauptvertreter des Angriffs auf die Theorie war Eduard Bernstein, der seine Ideen im Winter 1897/98 in mehreren Artikeln und im Frühjahr 1899 in einem Buch veröffentlichte. Da Bernstein meinte, dass man die marxistische Theorie revidieren müsse, ging das als „Revisionismus“ in die Geschichte ein.

Rosa Luxemburg veröffentlichte zwei Artikelserien gegen Bernstein, die eine im September 1898, zur Vorbereitung des Stuttgarter SPD-Parteitags, auf dem nach dem Willen des linken Parteiflügels ein Kampf gegen Bernsteins Ideen geführt werden sollte, die zweite Artikelserie im Frühjahr 1899 nach dem Erscheinen von Bernsteins Buch. Beide Artikelserien trugen den Titel „Sozialreform oder Revolution“ und erschienen dann zusammen als Broschüre.

Bernstein und die Realität

Bernstein behauptete, dass sich die Widersprüche im Kapitalismus abmildern würden, dass der Kapitalismus Krisen immer besser vermeiden könne und dass ein schrittweiser Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus möglich sei. Rosa Luxemburg bestritt das alles. Wenn wir heute auf die fast 125 Jahre zurückschauen, was haben sie uns gebracht? Zwei Weltkriege, eine Revolution von 1918-1923 und vieles andere … aber Sozialismus haben wir immer noch nicht. Dass die Geschichte sich nicht, wie Bernstein glaubte, schrittweise vorwärts entwickelt, sondern in Sprüngen, und nicht nur in Sprüngen vorwärts, sondern leider auch in Sprüngen rückwärts – also das, was wir Marxist*innen „dialektisch“ nennen – sollte angesichts dessen offensichtlich sein.

Allein in diesem Jahrhundert hatten wir eine schwere Wirtschafts- und Finanzkrise 2007-2009, hatten 2019-20 eine Wirtschaftskrise, die durch die Coronakrise massiv verschärft wurde usw. Rosa Luxemburg hat in ihren Texten immer wieder einen „Stillstand der Sozialreform“ festgestellt. Ich habe in meinem politischen Leben schon diverse Rentenreformen, Gesundheitsreformen etc., miterlebt. Der Haken daran: der Begriff Reform hat sich heute in sein Gegenteil verkehrt. Unter Reformen wurde in den letzten Jahrzehnten nicht mehr Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung verstanden, sondern die Vernichtung der in früheren Jahrzehnten mühsam erkämpften Reformen. Bernstein setzte große Hoffnungen auf Genossenschaften. Wer würde das heute noch ernsthaft so sehen? Bernstein setzte große Hoffnungen auf schrittweise Verbesserungen durch Gewerkschaften. Rechte Gewerkschaftsführer*innen strotzten damals vor Selbstbewusstsein und beschimpften jahrelang Rosa Luxemburg als Gewerkschaftsfeindin, weil sie auf die Grenzen gewerkschaftlicher Möglichkeiten im Rahmen des Kapitalismus hinwies.

Heute haben sich die Fronten umgekehrt: Gewerkschaftsführer*innen sagen, dass sie wegen dem Kräfteverhältnis, der internationalen Konkurrenz etc. nicht mehr herausholen konnten, während Sozialist*innen erklären, dass mit einer Nutzung der Kampfkraft der Beschäftigten doch ein ganzes Stück mehr hätte erreicht werden können. Mir scheint, dass die Geschichte die Streitfrage zwischen Luxemburg und Bernstein, ob sich der Kapitalismus durch Reformen schrittweise überwinden lässt oder ob dafür auch ein revolutionärer Sprung notwendig ist, eindeutig beantwortet hat.

Reform und Revolution

Aber für Rosa Luxemburg hieß die Notwendigkeit einer Revolution nicht, dass der Kampf für Reformen unwichtig sei. Dabei sollten wir aber zwei Seiten auseinanderhalten, die objektive und die subjektive. Für Rosa Luxemburg bestand die Bedeutung des Kampfes für Reformen vor allem in seiner subjektiven Seite. Im Kampf machen die Arbeiter*innen Erfahrungen, lernen politisch, entwickeln ihre Fähigkeiten, bauen ihre Organisationen im Kampf auf und bereiten damit eine Revolution subjektiv vor. Die Rolle der im Kampf für Reformen erreichten objektiven Verbesserungen schätzte sie demgegenüber deutlich niedriger ein. Sie warf Bernstein vor, dass er diese objektive Seite des Kampfes für Reformen überschätzen würde.

Ich finde, das ist eine wichtige Unterscheidung, weil es z.B. in der LINKEN Leute gibt, die sich bei manchen Anlässen genau auf Rosa Luxemburgs Schrift berufen und mit ihr ihre Reformpolitik rechtfertigen … aber dabei genau auf die objektiven Verbesserungen verweisen, die durch Reformen erreicht werden sollen, also eigentlich Bernstein näher stehen als Luxemburg. Dazu kommt noch: wenn es um die objektiven Verbesserungen geht, dass ist es egal, ob sie in Hinterzimmer-Deals oder im Kampf erreicht werden. Wenn es um die Kampferfahrungen der Arbeiter*innen geht, dann besteht ein großer Unterschied zwischen beidem.

„Revolutionäre Realpolitik“

In diesem Zusammenhang passt es vielleicht, ein paar Sätze zu einem anderen auch oft falsch verstandenen Luxemburg-Gedanken zu sagen, nämlich zur „revolutionären Realpolitik“. Tatsächlich hat sie den Begriff gar nicht so oft verwendet, am ausführlichsten in einem Artikel 1903 zum 20. Todestag von Karl Marx. Bei Rosa Luxemburg ist diese „revolutionäre Realpolitik“ keineswegs eine Versöhnung, ein Kompromiss zwischen Revolution und Realpolitik, sondern eine doppelte Abgrenzung: gegen den vormarxschen utopischen Sozialismus und gegen die bürgerliche Realpolitik. Sie sagte, dass die bürgerliche Realpolitik vom Standpunkte der materiellen Tagespolitik real ist, die revolutionäre Realpolitik vom Standpunkte der geschichtlichen Entwicklungstendenzen.

Anders gesagt: bürgerliche Realpolitik geht von dem im Rahmen der tagespolitischen Kräfteverhältnisse Erreichbaren aus und steckt sich in dessen Rahmen ihre Ziele. Revolutionäre Realpolitik geht davon aus, dass sich im Kapitalismus die Widersprüche zuspitzen, die Kluft zwischen reich und arm, die internationalen Gegensätze und damit die Kriegsgefahr – heute müsste man z.B. noch die wachsende Umweltzerstörung hinzufügen – und dass der einzige realistische Ausweg daraus die Überwindung des Kapitalismus ist.

Ich würde behaupten, dass 80% der Leute innerhalb der LINKEN, die den Begriff „revolutionäre Realpolitik“ verwenden, tatsächlich nicht Politik in diesem Sinne meinen, sondern nur eine radikalere Form von bürgerlicher Realpolitik … letztlich eine Politik, die sich keine klare Rechenschaft über die geschichtlichen Entwicklungstendenzen des Kapitalismus ablegt, sondern sich Illusionen in eine Abstumpfung seiner Widersprüche macht. Während also Rosa Luxemburg unter revolutionärer Realpolitik eine doppelte Abgrenzung zu utopischem Sozialismus und bürgerlicher Realpolitik verstand, betreiben diese LINKEN faktisch eine Kombination von bürgerlicher Realpolitik und utopischem Sozialismus.

Noch anders gesagt: Rosa Luxemburg hat den Begriff nur selten verwendet. Seine Karriere begann erst 1924, als ihre langjährige Freundin Clara Zetkin den Begriff in einem Nachruf auf Lenin verwendete. Ich würde behaupten, dass im Unterschied dazu die meisten in der LINKEN heute, die den Begriff verwenden, dabei keine Politik im Sinne Lenins im Sinn haben.

Theoretischer Revisionismus und praktischer Opportunismus

Ich habe oben gesagt, dass es zu der Zeit, als Rosa Luxemburg nach Deutschland kam, Angriffe auf die bisherige marxistische Theorie und die Praxis der Sozialdemokratie gab. Tatsächlich nimmt in ihren Schriften der Kampf gegen diese Angriffe auf die Praxis einen viel größeren Platz ein. Sie hat auch einmal gesagt, dass sie diese Arbeit wichtiger finden würde. Das mag überraschen, denn wie soll es ohne richtige Theorie eine richtige Praxis geben? Auf der anderen Seite hat Bernstein behauptet, er wolle gar keine andere Praxis für die Sozialdemokratie, er wolle nur die Theorie an die Praxis anpassen. Und diese Aussage hatte zumindest einen wahren Kern. Denn während auf mehreren Parteitagen Bernsteins revisionistische Theorien mit überwältigenden Mehrheiten niedergestimmt wurden, war die Unterstützung für eine reformistische Praxis viel größer. Klassisch hat diesen Widerspruch der SPD-Führer Ignaz Auer mit dem Satz zusammengefasst: „So was sagt man nicht, so was macht man“.

Besonders opportunistische praktische Vorstöße wurden allerdings damals ebenfalls mit überwältigenden Mehrheiten abgelehnt. So gab es 1898 einen frischgebackenen Reichstagsabgeordneten Wolfgang Heine, der die Idee „Kanonen gegen Volksrechte“ vertrat: Also: die SPD soll im Reichstag Rüstungsausgaben bewilligen, wenn sie im Gegenzug demokratische Reformen erreichen kann. Das war damals eine randständige Position. Ich fürchte, die Leute in der LINKEN heute, die bereit sind, antimilitaristische Positionen einer r2g-Regierungsbeteiligung zu opfern, sind zahlreicher.

Außerparlamentarische Bewegungen

Aber bevor ich näher auf die Frage von revolutionärer und opportunistischer Parlamentsarbeit eingehe, wollte ich noch etwas zu außerparlamentarischen Kämpfen sagen, weil wir da auch sehr viel von Rosa Luxemburg lernen können. Zu der Zeit, als Rosa Luxemburg Bernsteins Revisionismus bekämpfte, gab es in Frankreich einen ganz anderen Revisionismus. Es hatte einen Spionageskandal im Generalstab gegeben. Von den möglichen Tätern war einer Jude, Albert Dreyfus. Also war klar, wer es gewesen sein musste. Dreyfus wurde aufgrund gefälschter Beweise verurteilt und auf die Teufelsinsel in der französischen Kolonie Cayenne (Guayana) verbannt, buchstäblich dahin geschickt, wo der Pfeffer wächst.

Nach einer Weile sprach sich in fortschrittlicheren Kreisen herum, dass da ein Justizverbrechen begangen worden war, es entstand eine Massenbewegung für eine Revision des Urteils (daher sprach man da auch von Revisionismus). Für die Arbeiter*innenbewegung stellte sich die Frage, wie sie damit umgehen sollte. Der „marxistische“ Flügel der französischen Sozialist*innen sah darin zunächst eine interne Angelegenheit des Bürger*innentums, die die Arbeiter*innen nichts angehen würde.

Die Marxist*innen international sahen das aber ganz anders. Weder Rosa Luxemburg noch z.B. Lenin waren der Ansicht, dass es bei Dreyfus um eine skurrile Minderheit (oder vielmehr skurrile Einzelperson) gehe und die Frage die Arbeiter*innen nicht betreffe. Rosa Luxemburg war völlig damit einverstanden, dass sich der gemäßigtere Flügel des französischen Sozialismus mit aller Energie in die Dreyfus-Kampagne stürzte. Nach einer Weile äußerte sie aber Kritik daran, wie das geschah. Und diese Kritik ist weit über den konkreten Anlass hinaus bedeutsam. Der Kampf um die Revision des Dreyfus-Urteils war ein Kampf gegen den Militarismus, der von Monarchist*innen, der katholischen Kirchenhierarchie und anderen reaktionären Kräften unterstützt wurde.

Auf der anderen Seite standen fortschrittlichere Teile des Bürger*innentums und große Teile der Arbeiter*innenbewegung. Rosa Luxemburg betonte, dass diese Bündnispartner*innen in diesem Kampf etwas ganz verschiedenes anstreben oder zumindest anstreben müssten. Für das Bürger*innentum geht es darum, den Kapitalismus von reaktionären Auswüchsen zu reinigen, um ihn dadurch zu stärken. Der Arbeiter*innenbewegung muss es darum gehen, zu erklären, dass der Kapitalismus solche Auswirkungen zwangsläufig hervorbringt, um dadurch im Kampf das Bewusstsein zu stärken, dass der Kapitalismus überwunden werden muss.Wenn also ein Teil des Bürger*innentums gegen das Justizverbrechen an Dreyfus kämpft, um den Kapitalismus zu stärken, müssen Sozialist*innen in dem Kampf darauf abzielen, den Kapitalismus zu schwächen und seinen Sturz näherzubringen. Ich würde sagen, dass diese Unterscheidung hochaktuell ist und wir daraus viel lernen können, was unser Eingreifen in der Klimabewegung, am Kampf gegen Sexismus, gegen Rassismus, gegen Rechtspopulismus, Nazis etc. betrifft.

„Lex Heinze“

Die Dreyfus-Kampagne war eine riesige Massenbewegung. Die gleiche Position hat Rosa Luxemburg aber auch bei kleineren Gelegenheiten vertreten. Ein deutscher Sturm im Wasserglas war die „Lex Heinze“. Heinze war ein Zuhälter, um den es einen Skandal gab. Die reaktionären Parteien, speziell das katholische Zentrum, nahmen das zum Anlass, Gesetze gegen „Unmoral“ zu fordern. Wie reaktionär das Vorhaben war, sieht man daran, dass Bestimmungen gegen sexuelle Belästigung durch Arbeitgeber, die ursprünglich im Gesetzentwurf standen, wieder herausgestrichen wurden, aber Paragrafen zur Kunstzensur drin blieben. Künstler und Intellektuelle fühlten sich daher durch das Gesetzesvorhaben bedroht. Die SPD griff deren Ängste auf.

Rosa Luxemburg forderte, man müsse beim Kampf gegen die Lex Heinze vor allem ihren Zusammenhang mit der reaktionären arbeiter*innenfeindlichen Politik des Zentrum insgesamt herausarbeiten … auch wenn man sich dabei die Sympathie dieser bürgerlichen Künstler*innen teilweise verscherzen sollte.

Budgetbewilligung

Eine zentrale Auseinandersetzung in der parlamentarischen Taktik in der Sozialdemokratie vor dem Ersten Weltkrieg war die Budgetbewilligung, die Zustimmung zum Haushalt. Allgemein galt damals die Parole: diesem System keinen Groschen und keinen Mann. Reichstags- und Landtagsfraktionen konnten zwar einzelnen Gesetzen zustimmen, wenn sie konkrete Verbesserungen bedeuteten, sie konnten bei den Haushaltsberatungen bei der Abstimmung zu Einzelposten ebenfalls für Verbesserungen kämpfen. Aber den Haushalt in seiner Gesamtheit mussten sie ablehnen.

Insbesondere in Süddeutschland verstießen Fraktionen mehrfach gegen dieses Prinzip, was dann zu heftigen Auseinandersetzungen führte bis hin zu massiven Ausschlussforderungen. Natürlich kämpfte auch Rosa Luxemburg gegen die Budgetbewilligung. Sie verwies damals darauf, dass bürgerliche Parteien bei aller Kritik an Regierungen doch am Schluss für das Budget stimmen, während die Sozialdemokratie als prinzipielle Oppositionspartei diese grundlegende Ablehnung dadurch zum Ausdruck bringen müsse, dass sie das Budget ablehnt. Gegen das Argument, dass ein Großteil der Staatsausgaben „Kulturausgaben“ sei, verwies sie darauf, dass in der Art und Weise, wie der Staat diesen Aufgaben nachkomme, sich doch sein bürgerlicher Klassencharakter zeige.

Wenn wir heute sehen, wie Regierungen die Aufgabe des Kampfes gegen Corona auf eine Art und Weise ausführen, die kapitalistischen Interessen dient – unsere Freizeit massiv einschränken, aber die kapitalistische Profitmaschine nach Möglichkeit am Laufen halten – dann sollte diese Unterscheidung nachvollziehbar sein. Das gleich gilt natürlich genauso für andere Politikfelder.

Gegen Regierungsbeteiligung

Deutschland war damals keine parlamentarische Demokratie. Regierungen wurden nicht von Parlamenten gewählt, sondern von Monarchen eingesetzt und mussten sich dann ihre parlamentarischen Mehrheiten suchen. Da kein Monarch auf die Idee kam, Sozialdemokraten in die Regierung aufzunehmen, stellte sich in Deutschland die Frage der Regierungsbeteiligung vor dem Oktober 1918 nicht, die heute eine zentrale Streifrage in der LINKEN ist. Anders war es international.

1899 wurde der Sozialist Millerand in Frankreich zum Handelsminister berufen. Das führte zu einer internationalen Debatte, unter anderem auf den internationalen Sozialist*innenkongressen 1900 in Paris und 1904 in Amsterdam, die zu einer Ablehnung der Regierungsbeteiligung führten (wenn auch mit Schlupflöchern). Im Frühjahr 1901 steuerte Rosa Luxemburg eine Artikelserie („Die sozialistische Krise in Frankreich“) zu der Debatte bei, die bis heute eine der besten Argumentationen zu diesem Thema ist. Befürworter*innen von Regierungsbeteiligung damals wie heute werfen oft die Beteiligung an Parlamenten und an Regierungen zusammen. Da Sozialist*innen anders als Anarchist*innen die Teilnahme an Wahlen und Parlamenten nicht prinzipiell ablehnen, müssten sie auch für Regierungsbeteiligungen sein.

Rosa Luxemburg wies auf den grundsätzlichen Unterschied hin: Im Parlament kann eine Fraktion für konkrete Verbesserungen kämpfen und zugleich ihre grundsätzliche Opposition zum politischen und wirtschaftlichen System deutlich machen, insbesondere durch die Ablehnung des Budgets. Durch die Teilnahme an der Regierung übernimmt man aber Verantwortung für die Gesamtpolitik und zwar nicht nur für das jeweilige Ressort, für das man Minister ist, sondern für die Regierungspolitik insgesamt. Im Parlament kann man durch Aufklärung, Opposition, die Unterstützung außerparlamentarischer Proteste Druck auf die Regierung ausüben und damit konkrete Verbesserungen erreichen.

Als Regierungspartei muss man die Politik auch im Parlament und außerhalb schönreden, weil sonst der Unmut über die Regierung auch auf die eigene Partei fällt. Dadurch schwächt man den Druck auf die Regierung und erreicht tatsächlich weniger an Reformen. Im Zusammenhang mit der Budgetbewilligung hat sie sich auch mit einem Argument auseinandergesetzt, dass heute zu den beliebtesten Argumenten der Regierungsbefürworter*innen in der LINKEN zählt, nämlich dass unsere Wähler*innen das von uns erwarten würden. Ihre Antwort war, dass die Wähler [ohne *innen, es gab noch kein Frauenwahlrecht] uneinheitlich sind, mehr oder weniger fortschrittlich. Wenn man es nicht allen recht machen kann, wen will man dann vor den Kopf stoßen, die politisch Rückständigen, die uns noch nicht verstanden haben oder die Fortgeschrittenen, den harten Kern unserer Wähler*innen? Wenn die Rückständigen uns noch nicht verstehen, dann müssen wir sie weiter aufklären.

Weltpolitik – Imperialismus

In ihrer Auseinandersetzung mit Bernstein beschränkte sich Rosa Luxemburg nicht darauf, ihm theoretische Fehler nachzuweisen. Sie untersuchte auch die tatsächlichen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen. Damals kam gerade ein neues Phänomen auf, das in Deutschland zunächst Weltpolitik genannt wurde, für das sich dann der Begriff Imperialismus durchgesetzt hat.

In ihrer Auseinandersetzung mit Bernstein und verschiedenen anderen Texten befasst sie sich mit den wirtschaftlichen Veränderungen, der Zunahme von Aktiengesellschaften, von Kartellen und Trusts, die damals die alten kapitalistischen Familienbetriebe in den Hintergrund drängten.

Ich will auf diesen Punkt ein bisschen ausführlicher eingehen, weil mir scheint, dass seine Bedeutung für die Veränderungen im Kapitalismus, vor allem für die Veränderungen der Klassenbeziehungen im Kapitalismus oft unterschätzt wird.

Vor dem Imperialismus

Im 19. Jahrhundert, nach der französischen Revolution setzte sich der Kapitalismus in immer mehr Ländern Europas gegen den Feudalismus durch. Das bedeutete, dass der Kapitalismus, das Bürger*innentum im Konflikt mit dem Feudalismus stand und auch nach dem Sturz des Feudalismus der Kampf gegen feudale Überbleibsel eine große Rolle auf der politischen Tagesordnung spielte. Die Entwicklung des Kapitalismus führte zum Wachstum einer Arbeiter*innenklasse, die vom Kapitalismus ausgebeutet wurde und sich deshalb in einem Klassenkampf mit dem Kapitalismus, mit dem Bürger*innentum befand. Zugleich gab es aber einen gemeinsamen Kampf gegen diese feudalen Überbleibsel, für demokratische Rechte etc. Dazu kam, dass das Bürger*innentum selbst keine homogene Klasse war.

Es gab neben dem industriellen Kapital das Handelskapital und das Bankkapital. Die Beseitigung des Feudalismus bedeutete oft nicht die Beseitigung des Großgrundbesitzes, sondern vielmehr die Verwandlung von Feudalherren in kapitalistische Großgrundbesitzer. Diese verschiedenen Kapitalfraktionen hatten durchaus unterschiedliche Interessen. In Frankreich, das im 19. Jahrhundert das klassische Land der Revolutionen war, gingen diese Interessenunterschiede so weit, dass es sogar politische Revolutionen gab, in denen eine Kapitalfraktion die andere von der Macht verdrängt. 1830 stürzte das Bankkapital den kapitalistischen Großgrundbesitz, 1848 stürzte das Industriekapital das Bankkapital. Für die beginnende Arbeiter*innenbewegung gab das die Möglichkeit und die Verpflichtung, die fortschrittlicheren Kapitalfraktionen gegen die rückschrittlicheren zu unterstützen. Ihr wisst vielleicht, dass einer der Hauptkritikpunkt von Marx und Engels an Ferdinand Lassalle war, dass er von „einer reaktionären Masse“ sprach, statt diese Differenzierungen auszunutzen.

Im imperialistischen Stadium des Kapitalismus

Das änderte sich aber mit dem imperialistischen Stadium des Kapitalismus grundlegend. Zum einen fielen die Kapitalist*innen als Bündnispartner*innen für den Kampf für demokratische Rechte immer mehr aus. Ihnen waren im Gegenteil verbliebene feudalen Überbleibsel hoch willkommen, weil sie den Klassenkampf der Arbeiter*innen gegen sie erschwerten.

Wenn es im Geburtsland des Kapitalismus, in Großbritannien, heute noch eine Monarchie gibt, dann dient die nicht nur als Touristenattraktion und zur Ablenkung von den realen Problemen, sondern sie hat auch undemokratische Vorrechte, die weiterhin gegen die Arbeiter*innenbewegung genutzt werden können. Dazu kam aber, dass die Fraktionierung der Bourgeoisie im Imperialismus deutlich zurückging. Wenn die Wirtschaft statt von Familienbetrieben von Aktiengesellschaften dominiert wird, sind die Differenzen zwischen den Kapitalfraktionen viel geringer. Ein kapitalistischer Familienbetrieb spezialisiert sich üblicherweise auf einen Wirtschaftssektor. Aktionär*innen können ihre Aktien auf ganz verschiedene Sektoren streuen. Natürlich gibt es immer noch Differenzen, zwischen Branchen, zwischen Unternehmen, die für den Export oder für den Binnenmarkt arbeiten, Differenzen, wie man gegenüber der Arbeiter*innenbewegung Zuckerbrot und Peitsche dosieren soll. Aber diese Differenzen sind viel geringer als im 19. Jahrhundert.

Politische Folgen

Eine Folge davon ist, dass der Liberalismus als politische Strömung den Bach runtergeht. Er hört auf, Ausdruck des Kampfs des Kapitalismus gegen den Feudalismus oder der Industriekapitalisten gegen kapitalistischen Großgrundbesitz und teilweise auch das Bankkapital zu sein.

Eine weitere Folge ist, dass das Parlament tendenziell aufhört, ein Ort zu sein, in dem echte Interessengegensätze zwischen Kapitalfraktionen ausgehandelt werden und zunehmend eine Showveranstaltung wird, bei der die Masse der Bevölkerung verführt werden soll, Leute zu unterstützen, die ihre Interessen mit Füßen treten. Das hatte auch zur Folge, dass die Taktik der Arbeiter*innenbewegung, die vor allem in den 1880er und 1890er Jahren unter tätiger Mitwirkung von Friedrich Engels entwickelt worden war, zunehmend den Boden unter den Füßen verlor. Diese Taktik beruhte darauf, dass erstens Wahlkämpfe und Parlamentsarbeit neben der Agitation und Propaganda in Presse und Versammlungen eine herausragende Rolle spielte. Zum anderen beruhte sie auf der Kombination und Fundamentalkritik am kapitalistischen System und parlamentarischen Reformen, bei denen die verschiedenen kapitalistischen Fraktionen gegeneinander ausgespielt wurden.

Massenbewegungen, insbesondere Massenstreiks

Eine Alternative zu der bisherigen Taktik wurde immer dringender. Sie wurde auch möglich, weil durch die Entwicklung des Kapitalismus die Arbeiter*innenklasse stark angewachsen war. Statt einem gemeinsamen, vorwiegend parlamentarischen, Kampf mit dem fortschrittlichen Bürgertum (das es immer weniger gab) vorwiegend außerparlamentarische Massenbewegungen der Arbeiter*innen, die durch ihre Dynamik das Kleinbürger*innentum, also die Schichten zwischen Arbeiter*innen und Kapitalist*innen mitreißen können. Eine der wirksamsten Formen solcher Massenaktionen waren Massenstreiks,die entsprechend bei Rosa Luxemburg eine große Rolle bekamen.

Massenstreiks

Rosa Luxemburg hatte sich schon in den 1890er Jahren mit ihnen beschäftigt. 1889 hatte der Gründungskongress der 2. Internationale beschlossen, den Ersten Mai als internationalen Aktionstag vor allem für den Achtstundentag zu begehen. In der Folge war international umstritten, ob man den Ersten Mai am 1. Mai als politischen Massenstreik feiert oder als Abendveranstaltung oder erst am ersten Sonntag im Mai. In Polen hatte es 1892 starke Streiks am 1. Mai gegeben, die besonders in Łódź  zu einem politischen Massenstreik von Zehntausenden Arbeiter*innen eskalierte, der bis zum 6. Mai anhielt und dann vom Militär brutal unterdrückt wurde.

Dazu kamen in verschiedenen Ländern politische Massenstreiks zur Demokratisierung des Wahlrechts, vor allem immer wieder in Belgien, mit denen und mit deren Taktik sich Rosa Luxemburg wiederholt beschäftigte. Und vor allem spielten die politischen Massenstreiks in der Revolution 1905 in Russland und Polen eine große Rolle. Dabei arbeitete sie verschiedene Aspekte des Massenstreiks heraus: in ihrer Schrift „Massenstreik, Partei und Gewerkschaften“ schilderte sie das Wechselspiel zwischen politischen und wirtschaftlichen Streiks, zwischen Demonstrationsstreiks und Kampfstreik, partiellen Streiks und allgemeinen Streiks. Außerdem betonte sie in verschiedenen Texten zu 1905, dass der Massenstreik sich auch abnutzt und schließlich in den bewaffneten Aufstand gegen den Zarismus übergehen muss. In ihren Schriften zum belgischen Wahlrechtskampf von 1902 kritisierte sie, wie die sozialdemokratische Führung den Massenstreik beschränkte mit Rücksicht auf ihr Bündnis mit den bürgerlichen Liberalen.

1913 nahm sie den erneuten, sehr bürokratisch organisierten belgischen Generalstreiksversuch auseinander. 1913/14 kritisierte sie die Versuche rechter deutscher Sozialdemokrat*innen, einen politischen Massenstreik zu befürworten, um mit ihm ein demokratischeres Wahlrecht in Preußen zu erkämpfen, damit eine stärkere sozialdemokratische Fraktion besser opportunistische Politik machen kann.

Wahlrechtsbewegung 1910

Eine besondere Stellung nahm aber die Auseinandersetzung um den Massenstreik 1910 ein. Auch hier ging es um ein demokratischeres Wahlrecht in Preußen. Anfang 1910 gab es eine Welle von Massendemonstrationen, sogar von Demonstrationen trotz polizeilichem Verbot, was selbst damals für deutsche Sozialdemokrat*innen keine Selbstverständlichkeit war. Rosa Luxemburg verstand, dass eine Bewegung nicht über eine längere Zeit auf gleichem Niveau verharren kann, dass sie sich steigern muss oder andernfalls wieder zurückgeht. Die naheliegende Steigerung wäre der politische Massenstreik gewesen.

1905 hatte die deutsche Sozialdemokratie vor dem Hintergrund der damaligen russischen Revolution den Massenstreik offiziell in ihr Waffenarsenal aufgenommen. Aber 1910 ging es nicht mehr um die prinzipielle Möglichkeit, sondern es wurde konkret … und ein Großteil der Leute, die 1905 noch für den Massenstreik waren, hatten jetzt Bedenken. So geriet Rosa Luxemburg in die schiefe Stellung, dass eigentlich der nächste Kampfschritt die Durchführung eines Massenstreiks gewesen wäre und sie statt dessen für eine Diskussion über den Massenstreik kämpfen musste. Das machte sie aber entschlossen, in Artikeln und in Vorträgen in verschiedenen Städten. Dabei trat sie dafür ein, den politischen Massenstreik mit verschiedenen gerade anstehenden wirtschaftlichen Streiks zu verbinden, und dafür, die Forderung nach einem demokratischen Wahlrecht in Preußen mit weiteren politischen Forderungen zu kombinieren, die in der Forderung nach einer Republik gipfelten.

Die rechten Partei- und Gewerkschaftsfunktionär*innen verhinderten damals, dass es zu politischen Massenstreiks kam. Als Folge mussten die deutschen Arbeiter*innen den Gebrauch dieser Waffe im Ersten Weltkrieg unter den schwierigsten Bedingungen (faktische Militärdiktatur) lernen. Sie haben es trotzdem gelernt, wenn auch unter hohen Opfern: nach jeder Streikwelle wurden Aktivist*innen ins Gefängnis gesteckt, zahlreiche weitere Aktivisten an die Front geschickt, viele starben dort.

Gegen Opportunismus und Zentrum

Ein entscheidendes Resultat der Massenstreikauseinandersetzung von 1910 war eine Umgruppierung der politischen Kräfte in der Sozialdemokratie. Bis dahin hatte die Verteidigung der „alten bewährten Taktik“ gegen Angriffe des rechten Parteiflügels die Auseinandersetzungen geprägt. Auch Rosa Luxemburg hatte sich mit Kritik an der Parteiführung zurückgehalten und diese Kritik dem gemeinsamen Kampf gegen die Parteirechte untergeordnet. Jetzt war es mit solchen Rücksichtnahmen vorbei. Es bildete sich von 1910 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs eine Spaltung in drei Flügel heraus: das Parteizentrum wollte mit der „alten bewährten Taktik“ aus vorimperialistischen Zeiten weitermachen, obwohl deren Grundlage immer mehr entfiel, der rechte Flügel hechelte dem nach rechts abdriftenden Bürger*innentum hinterher, der revolutionäre Flügel um Rosa Luxemburg orientierte auf politische Massenaktionen.

Allerdings war dieser Flügel zunächst sehr klein, weil außer Rosa Luxemburg noch kaum jemand die Notwendigkeit verstand, auch gegen das Parteizentrum einen politischen Kampf zu führen. Eine Folge war, dass Rosa Luxemburg in der Partei vorübergehend äußerst isoliert war. Es gab oft einen gemeinsamen Kampf von Zentrum und Rechten gegen die Linken in der Partei.

Imperialismus und Kriegsgefahr

Es ging also beim Imperialismus um viel mehr als um eine aggressive Außenpolitik und Kriegsgefahr, nämlich um gravierende Änderungen in den Klassenbeziehungen und in der Taktik der Arbeiter*innenbewegung. Das hieß auch, dass der Marxismus weiterentwickelt werden musste, wozu Rosa Luxemburg einen wichtigen Beitrag leistete. Trotzdem waren aggressive Außenpolitik und wachsende Kriegsgefahr ein ganz wesentlicher Bestandteil des Imperialismus. Und wenn man an die Folgen von Kriegen für die Masse der Bevölkerung denkt: ein sehr einschneidender Bestandteil.

Entsprechend nahm für Rosa Luxemburg der Kampf gegen diese Gefahren einen großen Raum ein. Aber dieser Kampf beruhte ganz entscheidend auf der Erkenntnis, dass der Imperialismus nicht nur eine bestimmte Politik ist, die die Kapitalisten betreiben oder auch sein lassen können, wenn man an ihre angeblich wahren Interessen appelliert oder wenn man ihnen ein bisschen mit Protesten droht, sondern dass der Imperialismus eben ein bestimmtes Stadium des Kapitalismus ist und die Aufgabe nicht darin besteht, in einen vorimperialistischen Kapitalismus zurückzukehren, sondern über den Kapitalismus und Imperialismus hinaus zum Sozialismus zu gelangen.

Parteiflügel und Kampf gegen den Krieg

Genau die selbe Spaltung in drei Flügel, die ich bereits beschrieben habe, zeigte sich auch beim Umgang mit der Frage von Imperialismus und Krieg. Das Parteizentrum war natürlich gegen imperialistische Kriege, aber glaubte, die Kriegsgefahr entstehe nur durch die Interessen von einzelnen Kapitalgruppen, durch ungeschickte Diplomaten etc. Nachdem sie sich 1911/12 in der Marokkokrise und bei den folgenden Reichstagswahlen überzeugt hatten, dass Massenkundgebungen gegen die Kriegsgefahr möglich sind und keine Wählerstimmen kosten, sahen sie darin ein Wundermittel, mit dem Kriege verhindert werden können.

Als das 1914 nicht mehr reichte, um den Ersten Weltkrieg zu verhindern, waren sie völlig hilflos, wollten aber letztlich einfach zurück zur Zeit vor dem Krieg … also zu den Verhältnissen, die zum Krieg geführt hatten. Der rechte Parteiflügel folgte dem Bürger*innentum auf dem Weg nach rechts. Und diesen Weg nach rechts konnte man gerade in der Frage von Militarismus und Krieg deutlich verfolgen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Aufrüstung des deutschen Reiches immer heftigere Formen an, sowohl die der Armee als auch der Marine. Die Rüstungsausgaben wurden immer größer, belasteten den Haushalt immer mehr. Aber zugleich nahm die parlamentarische Opposition gegen die Rüstungsausgaben immer mehr ab. Sowohl das katholische Zentrum als auch die linksliberalen Freisinnigen wurden zu begeisterten Unterstützern der Aufrüstung. Vor dem Ersten Weltkrieg konnten es die rechten Sozialdemokrat*innen noch nicht wagen, für Aufrüstung einzutreten. Aber zum einen übernahmen sie immer mehr die imperialistische Propaganda, insbesondere die Hetze gegen den Hauptkonkurrenten Deutschlands, den britischen Imperialismus („das perfide Albion“).

Zum anderen setzten sie 1913 durch, dass die SPD im Reichstag tatsächlich der Rüstungsfinanzierung zustimmte.Die Begründung war damals, dass die Rüstungsmaßnahmen bereits beschlossen waren – gegen die sozialdemokratischen Stimmen – und es jetzt nur noch darum gehe, ob zur Finanzierung nur die Masse der Bevölkerung oder auch die Kapitalisten herangezogen würden. Die logische Konsequenz dieser Rechtsentwicklung war dann, dass die SPD ab Kriegsbeginn 1914 für die Kriegskredite stimmte.

Dagegen trat der linke Flügel um Rosa Luxemburg für Massenaktionen gegen den Krieg ein und versuchte, den Kampf gegen den Krieg auch in einen Kampf gegen den Kapitalismus insgesamt überzuleiten. In diesem Sinne schrieb sie 1907 mit Lenin und Martow einen Änderungsantrag auf dem Stuttgarter Sozialist*innenkongress, der dazu aufrief, wenn sich ein Krieg nicht verhindern lasse, die Schwierigkeiten des Kapitalismus im Krieg nach Möglichkeit für dessen Sturz zu nutzen. In diesem Sinne agitierte sie vor und während dem Ersten Weltkrieg. In diesem Sinne kämpfte sie, als der Krieg im November 1918 tatsächlich zur Revolution führte, in der Novemberrevolution für den Sozialismus und wurde dafür ermordet.

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