Imperialistischer Konflikt eskaliert – Kein Vertrauen in Putin, Biden, Scholz und Co.! – Für eine unabhängige Position der Arbeiter*innenbewegung und Linken

Die Krise in der Ukraine spitzt sich mit der Entsendung russischer Truppen in die Ostgebiete dramatisch zu. Alle beteiligten kapitalistischen Regierungen, sei es auf Seiten der NATO, der Ukraine oder Russlands, beteuern seit Wochen keinen Krieg zu wollen und haben trotzdem mit ihrer jeweiligen Politik eine Eskalation vorangetrieben, die noch nicht zu Ende sein muss. Die aktuelle Situation ist brandgefährlich. Sie ist zugleich keine Ausnahme. Innerimperialistische und andere Konflikte nehmen im Zuge der Veränderung der weltweiten Kräfteverhältnisse und der kapitalistischen Krise massiv zu.

Weit über 100.000 Soldat:innen der russischen Armee sollen Berichten zufolge an den Grenzen der Ukraine in den letzten Monaten aufmarschiert sein. Die NATO spricht von der „größten Sicherheitskrise in Europa seit Jahrzehnten“ und hatte ihre Truppenverbände in den angrenzenden Staaten ebenfalls verstärkt. Auch Deutschland hat 400 Soldat:innen nach Litauen geschickt, wo es eine NATO-Präsenz anführt. In den Ostgebieten der Ukraine wiederum hatte die pro-russische Separatisten-Führung eine Generalmobilmachung ausgerufen und mit der Evakuierung der Zivilbevölkerung begonnen. Am Montag kündigte das Putin-Regime dann an, die sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängig anzuerkennen und russische Truppen zu entsenden. Die USA und die EU kündigten ihrerseits die Umsetzung von Sanktionen an.

Informationskrieg

Was die letzten Wochen erneut bewiesen haben: Das erste Opfer in jedem Krieg ist die Wahrheit. Deshalb müssen alle Eil-Meldungen und Informationen mit besonderer Vorsicht genossen werden. Die laut CIA für den 16. Februar angeblich geplante Invasion blieb zunächst aus, die Meldung hatte aber die Situation weiter angeheizt und für Verwirrung gesorgt. Dass die Institution CIA es mit der Wahrheit nicht genau nimmt, weiß man nicht erst seit ihren Lügen über angebliche Massenvernichtungswaffen, die den US-Krieg im Irak rechtfertigen sollten. Von russischer Seite gab es wiederum Berichte über einen Teil-Abzug der Truppenverbände. Die USA und die NATO wollten das nicht bestätigen und warfen Russland vor, dass die russischen Truppen noch verstärkt würden. Putin behauptete zuletzt, in den umkämpften Gebieten der Ostukraine würde ein Genozid stattfinden, um seinen Einmarsch zu legitimieren. All diese Manöver, Vorwürfe usw. von beiden Seiten dienen vor allem der Rechtfertigung des eigenen Vorgehens zur Durchsetzung der jeweiligen kapitalistischer Interessen. Die Arbeiter:innen und Armen aller Länder dürfen deshalb keiner Seite vertrauen.

Ein imperialistischer Konflikt

Putin wird in den westlichen Medien als der Aggressor in der aktuellen Situation ausgemacht. Aber trotz der Tatsache, dass Sozialist*innen und die Arbeiter*innenbewegung die Entsendung russischer Truppen aufs Schärfste verurteilen muss, ist das eine bewusst isolierte Betrachtung, die von der entscheidenden Frage ablenkt – nämlich, dass es sich um einen imperialistischen Konflikt verschiedener Mächte handelt, der seit Jahren auf dem Rücken der Bevölkerung der Ukraine ausgetragen wird.

Der Konflikt in der Ukraine muss im Zusammenhang mit der allgemeinen Entwicklung des Weltkapitalismus betrachtet werden. Die USA sind nicht mehr „Weltpolizist Nr. 1“ und unbestrittene Supermacht. Ihr relativer Niedergang, der viel mit der massiven Krise in den USA selbst zu tun hat, trifft auf den rasanten Aufstieg Chinas. Seit Jahren entwickelt sich die Welt mehr in eine multipolare Richtung und dieser Trend wurde durch den Ausbruch der Corona-Pandemie und die weltweite Wirtschaftskrise massiv verstärkt. Die Ukraine ist das erste Beispiel, in der eine Eskalation der innerimperialistischen Konflikte gefährlich aus dem Ruder laufen könnte. Doch sie ist kein Einzelfall, denkt man zum Beispiel an den Konflikt um den Status von Taiwan, das Säbelrasseln im Südchinesischen Meer oder die Konflikte in verschiedenen Ländern Afrikas.

Der russische Imperialismus unter Putin ist in den letzten Jahren außenpolitisch wagemutiger geworden, was sowohl mit dem teilweisen Rückzug der USA als auch mit dem gewissen ökonomischen Spielraum des Regimes durch insbesondere die Einnahmen aus Öl- und Gasexporten zu tun hat. Gerade in der Ukraine fürchtet das russische Regime seit einigen Jahren seinen Schwindenden Einfluss.

Eigendynamik des Konflikts

Vieles spricht dafür, dass Putin mit seinem aktuellen Truppenaufmarsch nicht eine großangelegte Invasion vorbereiten, sondern damit entsprechende Druckmittel für die Durchsetzung seiner eigenen geopolitischen Interessen in Verhandlungen mit der NATO aufbauen wollte. Das Chaos des US- und NATO-Abzugs aus Afghanistan und die immer wieder hervortretenden Differenzen zwischen den westlichen Imperialismen dürfte in Putins Rechnung eingegangen sein, mit dem Erhöhen des Drucks auch zu testen, wie geeint der Westen reagiert. Gleichzeitig ist eine außenpolitische Krise für alle kapitalistischen Politiker:innen auch immer eine willkommene Ablenkung von den Problemen im eigenen Land. Das gilt sowohl für Putin als auch für westliche Regierungen, die mit den Kriegswarnungen und ihrer Reise-Diplomatie auch versucht haben, von anderen Krisen (Pandemie, Inflation usw.) zuhause abzulenken.

Das Vorgehen von Putin hat jetzt aber auch dazu geführt, dass er „etwas vorzeigen“ muss, um nicht als Verlierer auf der Weltbühne darzustehen. Nicht zuletzt durch seine pro-kapitalistische Politik, die zu sinkenden Realeinkommen in den letzten Jahren geführt hat, ist seine Unterstützung nicht mehr so stark wie früher.

Selbst wenn Putin nicht von Beginn an eine militärische Intervention geplant haben sollte, ist sie durch die Eigendynamik des Konfliktes und die Reaktion des Westens nun eingetroffen. Sein Kalkül, Zugeständnisse durch Verhandlungen zu erreichen, ist bisher nicht aufgegangen. Zudem richtet sich die nationalistische Politik der ukrainischen Regierung weiter auch gegen die russischen und russisch-sprechenden Teile der Bevölkerung. Auch das verstärkt die Eskalation. Die USA und die NATO, die bei den russischen Forderungen unnachgiebig geblieben sind, haben die Eskalation ebenfalls nicht nur nicht verhindert, sondern mit ihrer Aufrüstung dazu beigetragen. In den USA steht Biden zwar unter Druck, ein außenpolitisches Desaster wie in Afghanistan nicht zu wiederholen, aber gleichzeitig auch nicht vor Putin einzuknicken. Die jetzt einsetzende Debatte über Sanktionen kann gleichzeitig die bestehenden Differenzen zwischen den westlichen Mächten wieder an die Oberfläche bringen.

Eigentlich ist eine größere militärische Eskalation zurzeit weder im Interesse Russlands oder der NATO-Staaten. Auch wenn sich Russland auf den Fall von westlichen Sanktionen in den letzten Jahren vorbereitet hat, wäre zum Beispiel ein Ausschluss vom internationalen Zahlungsverkehr schwerwiegend. Genauso warnen westliche, kapitalistische Kommentator:innen vor solch einem Schritt, weil es Rückwirkungen auf westliche Konzerne hat und eine zusätzlich gefährliche Belastung des ohnehin labilen internationalen Finanzsystems bedeuten würde.

In jedem Land gilt aber: Die Arbeiter:innen und Armen werden diejenigen sein, die unmittelbar und am stärksten unter dieser Situation leiden – sei es in der Ukraine durch militärische Eskalation, in Russland durch westliche Sanktionen oder in anderen europäischen Staaten durch steigende Preise. Dennoch fürchten die Kapitalist*innen und ihre politischen Vertreter:innen, dass ihnen die Lage außer Kontrolle geraten kann. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es deshalb zu einem späteren Zeitpunkt noch zu Kompromissen kommen kann.

Deutschland

In Deutschland wurde der Konflikt in den letzten Wochen von einem Trommelfeuer gegen Russland begleitet. Viele Kommentator:innen forderten Waffenlieferungen an die Ukraine und auch die weitere Aufrüstung der Bundeswehr. Die SPD-Verteidigungsminsterin hat sich bereits für eine Erhöhung des Militärhaushalts ausgesprochen. Dass die deutsche Regierung bisher keine Waffen geliefert hat (sie hat 5000 Helme geliefert), liegt sicher daran, dass sie sich der breiten Ablehnung in der Bevölkerung eines solchen Schrittes sicher war. Dass das ganze nichts mit einem prinzipiellen Pazifismus oder “Lehren aus der deutschen Geschichte” zu tun hat, zeigt die Liste der Länder und auch Krisengebiete, in welche die Bundesregierung und deutsche Konzerne liebend gerne Waffen liefern, wie Ägypten, Saudi-Arabien usw.

Die exportorientierte deutsche Wirtschaft hat natürlich ein Interesse an guten Beziehungen zu Russland. Deshalb gibt es auch in der deutschen herrschenden Klasse eine Diskussion über den richtigen Kurs. Olaf Scholz hatte ein Stopp von Nordstream 2 bisher nicht offiziell an den Fall einer russischen Intervention geknüpft – was unter anderem an den dann möglicherweise folgenden Strafzahlungsforderungen der beteiligten Konzerne liegen dürfte. Nun hat die Bundesregierung den Zertifizierungsprozess der Pipeline auf Eis gelegt. In jedem Fall hat der aktuelle Konflikt bereits die Diskussion unter den Kapitalist:innen über einer Diversifizierung der deutschen und europäischen Energiequellen weiter befeuert.

Für eine unabhängige Position!

Die grundsätzliche Herangehensweise an alle Konflikte muss für Sozialist:innen auf einer Analyse der unterschiedlichen Klasseninteressen fußen und sich aus den Interessen der Arbeiter:innenklasse(n) ableiten. Andernfalls besteht einerseits die Gefahr zum Anhängsel der Politik einer der verschiedenen kapitalistischen Kräfte zu werden und deren Politik, ob bewusst oder unbewusst, zu legitimieren, zu beschönigen oder nicht ausreichend zu kritisieren. Andererseits wird man ohne eine solche Herangehensweise kein Programm entwickeln können, welches einen Ausweg aus der Krise aufzeigen kann.

Unmittelbar muss die Entsendung russischer Truppen natürlich kritisiert und zurückgewiesen werden. Schon jetzt mussten zehntausende Menschen ihre Heimat verlassen und es besteht die große Gefahr ethnischer Spaltung und Säuberungen. Die massive Zunahme von Schusswechseln und militärischen Auseinandersetzungen von beiden Seiten ist nicht im Interesse der Arbeiter:innenklasse.

Gleichzeitig müssen die Heuchelei und Hysterie auf beiden Seiten entlarvt werden. Selbstverständlich geht es Putin, der Proteste im eigenen Land oder auch zuletzt in Kasachstan massiv unterdrückt, nicht um demokratische Rechte. Es ist aber genauso unerträglich, wie sich die Vertreter:innen der USA, der NATO, der EU oder Deutschland aktuell als Verteidiger:innen von Demokratie und/oder staatlicher Souveränität gegen das autoritäre Russland aufspielen. Diese Länder haben zahlreiche Kriege geführt oder unterstützt – zum Beispiel im Nahen Osten oder auf dem Balkan – die neue, ihnen genehme Regime installierten, ohne dass die Bevölkerung ernsthaft darüber entscheiden durfte.

Kritik an DIE LINKE und der linksjugend [‘solid]

Das ist leider das komplette Gegenteil von den Positionen, die man aus der Spitze der Partei DIE LINKE vernimmt. Auch wenn die Partei sich für Frieden und Abrüstung und gegen Eskalation ausspricht, tut sie das nicht auf Grundlage einer Klassenposition und schürt Illusionen in die Diplomatie der kapitalistischen Mächte. Dietmar Bartschs Vorschlag, Angela Merkel sollte in dem Konflikt vermitteln, war ein neuer Tiefpunkt seiner Versuche, aus der Opposition zu beweisen, dass DIE LINKE fit ist, “deutsche Interessen” auch außenpolitisch zu vertreten. Aber auch das Statement der Partei- und Fraktionsspitzen, welches für eine diplomatische Vermittlung durch Frankreich und Deutschland argumentiert, sprach de facto zwei kapitalistischen Regierungen (noch dazu der deutschen) das Vertrauen aus, den Konflikt zu lösen. Hingegen gibt es von anderen prominenten Mitgliedern der LINKEN einen Aufruf, der Illusionen in das russische Regime schürt.

Der Bundesverband der linksjugend [‘solid] twitterte am Dienstag über eine Kundgebung vor der russischen Botschaft, die zur Solidarität mit der Ukraine aufruft, dass es schade sei, dass sie nicht dabei seien. Die Kundgebung wurde von Junge Union, Jungen Liberalen, Jusos und Grüne Jugend. Der Aufruf stellte sich klar auf die Seite der NATO und machte eben keine unabhängige Klassenposition deutlich, was von den Organisator:innen auch nicht erwartbar ist. Dies zeigt umso mehr, dass eine Orientierung auf diese bürgerlichen und prokapitalistischen Kräfte nicht in unserem Sinne und im Interesse der Arbeiter:innenklasse ist.

Für eine sozialistische Alternative

Unter kapitalistischen Bedingungen kann es in der Ukraine keine wirkliche nationale oder soziale Selbstbestimmung für die verschiedenen Teile der Bevölkerung geben. Das zeigt auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes: Die Ukraine ist ein furchtbares Beispiel für die Folgen der kapitalistischen Restauration und ein Beweis dafür, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist die Region nachhaltig weiterzuentwickeln. Die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung hat kaufkraftbereinigt bis heute nicht das Niveau aus den 1990er Jahren erreicht – im internationalen Vergleich der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen 1990 und 2017 ist die Ukraine auf dem fünftletzten Platz weltweit! Daraus entspringt auch die fortbestehende Abhängigkeit der Ukraine von heute westlichen Mächten bzw. der sogenannten östlichen Volksrepubliken von Russland.

Genauso wenig ist der Kapitalismus in der Lage, in Ländern wie der Ukraine wirkliche Unabhängigkeit und Selbstbestimmung und ein Leben in Frieden und Wohlstand für die arbeitende Bevölkerung zu garantieren. Der Kampf für das Recht auf Selbstbestimmung muss deshalb mit dem gemeinsamen Kampf der Arbeiter:innenklasse und Armen für soziale Verbesserungen und eine wirkliche, sozialistische Veränderung einhergehen. Dafür ist die Beschlagnahmung des Reichtums der verschiedenen Oligarch:innen und letztlich die Überführung der Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der Arbeiter:innenklasse nötig. Sozialist:innen sollten jeden Versuch unterstützen, unabhängige Gewerkschaften und Arbeiter:innenorganisation in der Ukraine aufzubauen, und für ein solches sozialistisches Programm argumentieren. Eine sozialistische Veränderung auf den Gebieten der Ukraine und der sogenannten Volksrepubliken im Osten, die das Selbstbestimmungsrecht und die vollen demokratischen Rechte für alle Minderheiten achtet, würde auf alle ehemaligen Teile der alten Sowjetunion und darüber hinaus ausstrahlen und die Arbeiter:innenklasse weltweit inspirieren.

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